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Kategorie: Geschichte
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Auszug aus: Heimat und Welt – Illustrierte Beilage zur Heinsberger Volkszeitung vom 28.05.1927

Von Aachen kommend, hatten wir in sausender Fahrt bei Kempen die Rur überquert, hatten verlassen die staubige Landstraße und fahren nun mit geringer Kilometerzahl. Obwohl das Knattern des Motors die feierliche Landstille unschön unterbricht, erwachen einem doch bei dem wunderschönen Anblick der Natur die, herrlichsten Stimmungsbilder. Die saftig grünen Wiesen, das sorgfältig bebaute Ackerland, sie wirken beruhigend auf Nerven und Gemüt. Wir haben jetzt Ophoven hinter uns und steuern auf Wassenberg zu. Das herrliche Panorama aber, das sich nun vor unseren Augen entfaltet, zwingt uns unwillkürlich den Wagen anzuhalten, um diesen selten schönen Anblick nur für Augenblicke zu genießen. Die dunkelgrüne Waldhöhe, zu Ihren Füßen das malerische Städtchen Wassenberg, alles hat seine Reize. Wie eine Hünengestalt erhebt sich über sie der trutzige Burgfried. Schützend blickt er auf die spitzen Giebeldächer der Stadthäuschen und auf das Kirchlein in ihrer Mitte. Und weiter links seh ich ebenfalls eines Kirchleins kleine Spitze aus dem Waldgrün hervorlugen. Segnend blickt es in das fruchtbare Rurtal und wie ein Finger Gottes strebt sein Kegel mahnend gen Himmel. Ja dieser fesselnde Anblick könnte einem Dichter Motive geben.

Bald hatten wir unser Ziel, die kleine Stadt am Waldessaume erreicht. Im allgemeinen nennt man das Städtchen „Kurort“, wenigstens las ich es schon in größeren Zeitungen. Ob dieses aber der rechte Ausdruck ist, will mir nicht einleuchten. Wo sind denn die luxuriösen Kurhotels, wo sind die eintönigen Kurpromenaden mit ihren steten Konzerten? Ich finde sie nicht. Ich finde auch keine Vergnügungsparks mit Springbrunnen und Fontänen. Wo sind ferner die großen Hotellterrassen mit ihren ewigen Dieners, Soupers und fünf Uhr Tees? Nein diesen formellen Unsinn finde ich nicht.
Hier aber auf diesem Fleckchen Erde lockt etwas anderes. Wie mit magischer Kraft zieht dich der Friede und die Stille des Waldes an. Wie eine mächtige Kuppel schließen sich die Baumkronen über den moosigen Waldweg, auf dem wir dahin schreiten. Bunte Falter gaukeln über die unergründlich tiefen Waldseen, auf deren Oberfläche weiße und gelbe Wasserrosen träumend wiegen. Eine soeben erklommene Höhe gestattet uns einen weiten Rundblick. Vor uns dehnt sich aus das so viel genannte Rurtal. Silberhell schlängelt sich das Band der Rur dahin. An den Ufern liegen zerstreut zerstreut die kleinen Dörfchen. Wie ein Fantasiegebild erscheint das weithin sichtbare Flachland, in das der brave Landmann den Samen eingesenkt, damit er wachse und gedeihe. Die letzten rötlichen Strahlen der untergehenden Sonne küßen am fernen Horizont einen auf einer Bergeshöhe gelegenen Gottestempel; „Der Dom des Rurtals“ spricht einer der Begleiter neben mir. Im stillen beneide ich den Sprecher weil ich weiß, daß er dies alles seine Heimat nennt.


Und als der Abend kam und die Nacht mit leisem Schwingen sich auf den dunklen Tannenwaldsenkte, habe ich leise aus dem kleinen Gasthaus weggeschlichen und bin mit klopfenden Herzen in das Labhrinth des Marienbruches geeilt. Ich wollte Abschied nehmen von dem schweigenden Wald, der mir für Stunden eine so erquickende Labsal gewesen, der in den wenigen Stunden meine, durch angestrengte Büroarbeit aufgepeitschte Nerven wieder ins Gleichgewicht gebracht.

Geheimnisvoll rauschte es über mir in den Zweigen, als ich träumend auf der niederen Waldbank saß und dem werbenden Schluchzen der Nachtigallen lauschte. Eine heiße Sehnsucht schlich sich dabei in mein Herz; ich hätte mitsingen können ein Lied von der der Herrlichkeit des Frühlings, von dem Frieden des heimatlichen Bodens. Doch ich spürte es nur zu deutlich, ich hatte kein Recht dazu, weil meine Heimat eine andere ist, weil ich ein Großstadtkind bin.

Ich darf dieses Glück nur von ferne mit ansehen und darf den schlichten Bewohnern nur zurufen: „Glücklich ihr, die ihr eine solche Heimat habt. Mitternacht war nicht fern, als ich die glühenden Augen unseres Kraftwagens den Weg durch das Dunkel der Frühlingsnacht nach Hause suchten. Alle fuhren wir heimwärts mit dem glücklichen Gedanken: Rurtal, beim nächsten Wochenend sehen wir uns wieder. In mein Tagebuch aber schrieb ich am nächsten Morgen die wenigen Zeilen, die einst ein Geibel geschrieben und hierzu:

O Heimatliebe, Heimatluft,
Du Born der Sehnsucht unergründet,
Du frommer Strahl, in jeder Brust,
Vom Himmel selber angezündet;
Gefühl, was wie der Tod so stark
Und eingesenkt ward bis in`s Mark,
Das uns das Tal, da wir geboren,
Mit tausendfarb`gem Schimmer schmückt
Und wär`s im Steppensand verloren
Und wär`s vom ewgen Schnee gedrückt.

Thea Krone, z. Zt. Oberhausen